Künstliche Intelligenz

Eine grenzenlose Reise?

Der Streamingdienst empfiehlt die »richtige« Serie, das Smartphone erkennt das Gesicht und Suchmaschinen werden immer präziser. In vielen Wohnungen sind mittlerweile smarte Familienmitglieder eingezogen wie Alexa, Siri und Co. Bei manchen ist das Home sogar vollends smart.

Und beruflich? Da hilft die Künstliche Intelligenz (KI) unter anderem als Dolmetscher, Navigator, Bildersteller und Vorbereiter für Präsentationen.

Was kann KI? Ist sie besser als die menschliche Intelligenz? Wir haben den Selbsttest gewagt und ChatGPT – die KI, die seit Anfang 2023 in aller Munde und auf vielen Smartphones zu finden ist – Folgendes gefragt:

1872 passierte so einiges auf der Welt. Der Yellowstone-Nationalpark wurde gegründet und im damaligen Deutschen Reich wurde das metrische System als Einheitssystem für Längen- und Gewichtsmessungen eingeführt. Karl Ludwig Nessler wurde geboren – der Erfinder der Dauerwelle.

Was jedoch nicht 1872 passierte, ist die Gründung von Blumenbecker. Die erfolgte 1922. Woher ChatGPT die Information hat, weiß vermutlich nur ChatGPT selbst. Die weiteren Angaben über Blumenbecker stimmen hingegen.

Wie verlässlich und vertrauenswürdig sind also die Antworten? Über Chancen und Heraus­forderungen bei der Anwendung von »KI als Volkssport« sprachen wir mit Dr. Christian Temath, Geschäftsführer der Kompetenzplattform KI.NRW.

Über Dr. Christian Temath

Dr. Christian Temath ist seit September 2020 Geschäftsführer der Kompetenzplattform KI.NRW und arbeitet am Fraunhofer IAIS in Sankt Augustin mit seinem Team daran, die Marke »KI made in NRW« zu etablieren und die technologische Souveränität des Landes NRW zu stärken. Als promovierter Wirtschaftsinformatiker verfügt er über langjährige Erfahrung in der Managementberatung im Bereich Technologie sowie in der praktischen Anwendung von KI-Technologien bei einem internationalen E-Commerce-Unternehmen.

www.ki.nrw

Nutzen Sie ChatGPT?
Was war Ihr letzter Eingabebefehl?

Dr. Christian Temath: Sowohl aus persönlichem Interesse und natürlich für meine Arbeit nutze ich regelmäßig ChatGPT. Zuletzt habe ich ein Plug-in ausprobiert, mit dem man aus dem Chat heraus Hotels buchen kann. Das habe ich kombiniert mit der Frage, ob ChatGPT »Kommissar Dupin« aus der Bretagne kennt – hierbei handelt es sich übrigens um eine Kriminalbuchreihe – und, wenn ja, welche Städte in dieser Buchreihe besonders bedeutsam sind. ChatGPT hat mir vier Städte genannt, unter anderem Concarneau. Daraufhin habe ich nach passenden Hotels in dieser Stadt gefragt, die über das Plug-in in Echtzeit nach Verfügbarkeit geprüft wurden. Ich hätte auch direkt ein Zimmer buchen können. Es ist wirklich spannend zu sehen, was inzwischen mit ChatGPT möglich ist.

ChatGPT ist ein Sprachmodell und beruht auf Wahrscheinlichkeiten.
Woher erkenne ich, dass die Antworten wahr sind? 

Dr. Christian Temath: Sie sprechen hier einen wichtigen Punkt an: Bei ChatGPT handelt es sich um ein Sprach-, nicht jedoch um ein Wissensmodell. Die fehlende Faktentreue ist daher noch ein großes Manko. Ich sage noch, denn an der Beseitigung dieses Problems wird derzeit gearbeitet, etwa durch die Anbindung an das Internet und andere Wissensdatenbanken. Dass sich hier bereits einiges getan hat, zeigt meine eingangs erwähnte ChatGPT-Suchanfrage. Trotzdem heißt es für uns Nutzerinnen und Nutzer immer noch, dass wir die Texte von ChatGPT kritisch hinterfragen und überarbeiten müssen. Denn zwar klingen die Ergebnisse häufig gut und plausibel, aber inhaltlich sind sie schlichtweg falsch. Erschwerend kommt hinzu, dass ChatGPT keine Quellenangaben zu seinen Antworten liefert, was es für Nutzer*innen schwierig macht, die Informationen zu überprüfen und damit zu erkennen, ob sie wahr oder falsch sind.

 

Was sind die wichtigsten Anwendungen von KI aus heutiger Sicht?

Dr. Christian Temath: Vorweg gesagt sind wir bei KI.NRW der Ansicht, dass KI da ist, um zu helfen – ob bei der Bewältigung des Fachkräftemangels oder als Booster für Nachhaltigkeit: So führt das Fehlen von Fachpersonal nach heutigem Stand dazu, dass gewisse Themen nicht mehr bearbeitet werden können oder dass einzelne Mitarbeitende mit immer mehr Tätigkeiten belastet werden. Und genau diese Menschen gehen in den nächsten Jahren sukzessive in Rente. Mit dem zweiten großen Themenkomplex »KI und Nachhaltigkeit« haben wir uns in den vergangenen Jahren intensiv beschäftigt. Dabei haben wir Beispiele identifiziert, wie sich im Gebäude-Energiemanagement – das betrifft beispielsweise Lüftungs- und Heizungseinstellungen – mit einer KI 10 bis 20 Prozent Energie einsparen lassen. Ähnliche Unterstützung leistet Künstliche Intelligenz beim Ressourcenverbrauch oder bei der Produktion von Lebensmitteln. Wenn etwa Bäckereien zu viele Backwaren produzieren, werden diese am Ende des Tages weggeworfen. Das lässt sich durch bessere Prognosen mittels KI vermeiden. Neben dem Beispiel aus dem Handel lassen sich auch noch weitere Best Practices aus der Produktion anführen, wo dank KI der Werkzeugverschleiß in Echtzeit bestimmt wird und durch eine vorausschauende Wartung, die sogenannte Predictive Maintenance, Kosten eingespart werden. Im Bereich der Logistik lassen sich mittels KI-basierter Tourenplanung Fahrtzeiten und damit der CO2-Ausstoß reduzieren.

Was ist die größte Herausforderung für Unternehmen im Umgang mit KI?
Was empfehlen Sie den Unternehmen?


Dr. Christian Temath: Viele Unternehmerinnen und Unternehmer haben bereits erkannt, dass sie an Künstlicher Intelligenz nicht vorbeikommen. Vor allem große Unternehmen setzen KI bereits ein oder entwickeln sie selbst. Bei KMUs muss aber noch mehr passieren. Oft ist den Unternehmen nicht klar, was Künstliche Intelligenz genau ist, wo die Chancen und Herausforderungen liegen, die für einen vertrauenswürdigen Einsatz von Künstlicher Intelligenz wichtig sind. Es herrscht noch ein hohes Maß an Mystifizierung und Unsicherheit. Gleichzeitig ist die Geschwindigkeit bei den technologischen Weiterentwicklungen von KI-Modellen aktuell sehr hoch. Wer diese Entwicklung komplett ignoriert, wird bereits in den nächsten zwei bis drei Jahren den Vorsprung und das Qualitätslevel anderer Unternehmen nur noch schwer aufholen können. Deswegen sollten sich Unternehmer*innen jetzt aktiv damit beschäftigen und sich fragen: »Was kann KI und wo liegen die Grenzen? Und was sollte KI in meinem spezifischen Kontext leisten?«

 

 

Ich empfehle den Unternehmen daher also, den Mut zu haben, sich mit Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen und ihre KI-Reise zu starten. Dafür gibt es von KI.NRW spezifische Angebote für Unternehmen, die kostenfrei zur Verfügung stehen. Dazu zählen beispielsweise Erstberatungsangebote wie der »KI.Schnellstart«, die »KI.Sprechstunde«, aber auch der Einführungsvortrag »KI.Kick-off«. Es gibt zudem konkrete Workshop-Formate wie den »AI Design Sprint™«, in dem KI-Konzepte erarbeitet werden. Und im Format »AI.Shadowing« gehen KI-Expert*innen in die Unternehmen und beobachten Prozesse und Abläufe, um KI-Potenziale zu identifizieren, zu bewerten und nutzbar zu machen. Aber unabhängig davon, welcher Branche ein Unternehmen angehört, gilt: Damit der Einsatz von Künstlicher Intelligenz erfolgreich wird, ist es wichtig, KI als Teamsport zu begreifen, bei dem alle Mitarbeitenden mitgenommen werden.